Siebenter Gesang.
Die Berathung.

[156] Heilsame Vorschläge Bartek's, genannt der Preuße. – Matschek, der Täufer, äußert sich kriegerisch, Buchmann politisch. – Fankiel räth zur Eintracht, die vom Federmesser zerstört wird. – Gervasius' Vortrag, wobei sich die großen Wirkungen politischer Beredtsamkeit zeigen. – Des alten Matschek's Protest. – Die unerwartete Ankunft von Hilfstruppen macht der Berathung ein jähes Ende. – Auf, wider die Soplica's!


Der Abgesandte Bartek legt seine Ansicht dar; –

Der ward, weil er zu Wasser mehrere Mal im Jahr

Nach Königsberg hinabfuhr, stets der Preuße geheißen, –

Scherzweise – er haßte nämlich fürchterlich die Preußen,

Sprach aber gern von ihnen: ein Mann, schon ziemlich in Jahren,

Der viel gesehen, weit in der Welt umhergefahren,

Politische Fragen versteht, die Zeitungen fleißig studirt,

Und, in Matschek's Vertretung, öfters präsidirt.

Der schließt nun:


»Herr Mathias, mein Bruder und Berather,

Und unser Aller guter und sehr verehrter Vater:

Die Hilfe hat Hand und Fuß. Ich meine, es ist Verlaß

Im Krieg auf die Franzosen, wie auf die vier Aß:

Ein streitbar Volk, – und seit Thaddäus Kosciuszko's Zeiten

Sah man wohl diese Welt kein Kriegsgenie durchschreiten,

Als wie der große Kaiser Napoleon Bonaparte.[157]

Ich weiß noch, wie die Franzosen gingen über die Warthe,

Anno Tausendachthundertsechs: ich handelte eben

Mit Danzig, und da mir in Posen viele Verwandte leben,

So hab' ich mich zu ihnen auf Besuch begeben. –

Also, mit Joseph Grabowski, – jetzt Regiments-Commandant,

Zu jenen Zeiten aber lebt' er auf dem Land,

Nicht weit von Objezierze, – also, wie gesagt,

Ich trieb da mit Grabowski zusammen niedere Jagd.

Groß-Polen war damals ruhig,1 etwa wie Lithauen jetzt:

Als plötzlich eine Kunde Alles in Aufruhr versetzt;

Von Herren Todwen kam ein Bote in aller Eil' –

Grabowski las den Brief – rief: ›Jena! Jena! Heil!

Die Preußen sind geschlagen! auf's Haupt geschlagen! Sieg!‹

Kaum hört' ich die Worte, als ich sofort vom Pferde stieg,

Um knieend dem Herrn zu danken. – Wir sind in die Stadt gefahren,

So – scheinbar nur in Geschäften, als hätten wir nichts erfahren.

Siehe da! alle Landräthe, Hofräthe, Kommissäre

Und alles Geschmeiß der Art, was giebt uns das für Ehre:

Verbeugt sich uns tief – es zittert, es erbleicht die Brut,

Wie wenn man die deutsche Schabe begießt mit heißem Sud.

Wir reiben uns lachend die Hände – bitten ganz unterthänig:

Was Neues? was hört man von Jena? – Ha, die erschraken nicht wenig!

Sie staunen, daß wir vom großen Unglück ihrer Armee

Schon wissen – die Deutschen schrei'n: Ach, Herre Gott, o weh'!

Und rennen mit langen Nasen nach Haus – dann weiter Reißaus!

War das ein Laufen! Die Straßen nach Groß-Polen hinaus,

Alles voll fliehender Deutschen! Das kroch euch, wie die Ameisen,

Und schleppt das Fuhrwerk, Kutschen und Droschken, wie sie das heißen,

Alles schwer bepackt, die Weibchen wie die Männchen,

Mit Pfeifen, mit Kisten und Kasten, Bettstellen und Kaffeekännchen.

Reißaus, was Platz hat! Indessen besprechen wir uns ganz leise:

Hollah, zu Pferd! Verleiden wir diesen Deutschen die Reise! –

Hei! Hofrathsrippen geschunden! Hei! Landrathsnacken gehackt!

Die Herren Offiziere bei den Zöpfen gepackt!

Und General Dombrowski stürzt schon herein nach Posen,

Und bringt: Befehl zum Aufstand vom Kaiser der Franzosen![158]

Acht Tage – und die Preußen waren hinausgetrieben:

Nicht für ein Medicament war Einer übrig geblieben! –

Wenn wir uns nun flink umdreh'n – hei! und in wackrer That

In Lithauen hier für Moskau gesegnen solch ein Bad?

Was meinst du, Matschek? Bindet Rußland mit ihm an,

Mit Bonaparte, so ist er zum Spaßen nicht der Mann;

Der erste Held der Welt, zahllose Heere sind sein –

He, Matschek, wie denkst du drüber, Vater Küniglein?«


Er sprach's. Und Alle warten: was nun Mathias spricht;

Doch der bewegt sein Haupt nicht, erhebt sein Antlitz nicht,

Nur heftig wieder und wieder an seine Hüfte schlug er,

Als griff' er nach dem Säbel – aber den Säbel trug er

Seit der Theilung nicht mehr: nur wie er es sonst gepflegt,

Zuckt er beim Namen »Moskau,« und seine Rechte schlägt

Rasch an die linke Seite: er tappt wohl mit der Hand

Nach seinem Gertchen – wird drum »Seitenschlag« genannt.

Nun sah er auf – und Alles schweigt und lauscht gespannt. –

Aber er trog die Erwartung: es kam nicht, wie man geglaubt:

Er furcht die Brauen und wieder sinkt auf die Brust das Haupt.

Endlich beginnt er, im Takte nickt er immerfort,

Und langsam und mit Nachdruck spricht er jedes Wort:

»Still! Sagt mir erst, woher die ganze Nachricht rührt?

Wo stehen die Franzosen? Von wem sind sie geführt?

Hat schon der Krieg begonnen? weßhalb? und wo? und wann?

Welches Weges zieh'n sie? und mit wie viel Mann?

Wie viel Fußvolk, und Reiter? Wer's weiß, der sag' es an!«


Stumm blickt man sich an. »Mein Rath«, begann der Preuße, »wär',

Auf Pater Robak zu warten. Von ihm stammt Alles her.

Kundschafter mögen indessen über die Grenze gehen,

Während wir die Gegend im Stillen mit Waffen versehen;

Man gehe aber behutsam bei alle dem zu Werke,

Damit man bei den Russen nicht unsern Anschlag merke.«


»He! harren! starren! verscharren!« rief Matschek mit dem Titel

»Der Täufer,« – also hieß er von seinem gewaltigen Knüttel,[159]

Den er den »Wedel« nannte. Den stellt er vor sich auf,

Mit beiden Händen stemmt er sich oben an den Knauf,

Stützt das Kinn auf die Hand und schreit: »Ja, harren und starren!

Sitzungen halten! Hem, trem, brem – dann flieh'n, wie die Narren!

Ich war nicht in Preußen; für Preußen sind Königsberger Ideen

Ganz gut: mein Schlachcickopf kann so was nicht verstehen.

Ich weiß, wer hau'n will, geh' und nehm' den Wedel mit;

Wer sterben will, der rufe den Pfarrer, und damit quitt!

Ich will leben! Was soll der Pater? Sind wir Buben?

Ja, ›Robak‹, der Wurm!2 Ei was, wenn wir dies Moskau begruben,

Wir wollen's schon fressen, wie Würmer! Trem, brem! Kundschafter! Gucker!


Wißt ihr, was das bedeutet? Ducker seid ihr und Schlucker,

Krüppel! – He, Brüder, der Windhund mag seine Schnauze nützen,

Der Bernhardiner die Büchse – mein Geschäft ist: Spritzen!

Spritzen! spritzen! und basta –« Hier streichelt er seine Keule,

Und: »Spritzen! Spritzen!« ruft Alles ringsum mit lautem Geheule.


Zum Täufer hält auch Bartek, Scheermesserchen genannt

Von seinem dünnen Säbel; auch Matschek, als Kännchen bekannt,

Vom Stutzen, den er trug, mit einem Schlund, so groß,

Daß draus ein Dutzend Kugeln, wie aus der Kanne, floß.

»Hoch Täufer und sein Wedel!« schrie'n sie; – der Preuße will

Das Wort: doch übertönt ihn Gelächter und Gebrüll:

»Fort mit den Preußen, den Memmen!« ruft's aus allen Ecken,

»Wer eine Memme, mag sich in Pfaffenkutten stecken!«


Da hebt der alte Mathias langsam sein Haupt empor:

Und nach und nach verstummt der ganze lärmende Chor:

»Höhnt nicht den Robak, das ist ein Füchslein – mögt ihr's wissen:

Dies Würmchen hat eine größ're Nuß, als ihr, zerbissen;

Ich sah ihn nur Einmal – am Blick hab' ich es gleich erkannt,

Das Vögelein! Da hat er die Augen abgewandt.

Er fürchtete, ich begänn', ihm die Beichte abzufragen:

Doch das ist nicht meine Sache – viel wär' davon zu sagen.

Er kommt nicht her, vergebens riefet ihr ihn an;

Und stammt die ganze Nachricht her von diesem Mann,[160]

Dann weiß der Himmel, was er damit bezwecken kann.

Denn das ist ein Teufelspfäfflein! Und wißt ihr sonst Nichts mehr,

Dann frag' ich, wozu kamt ihr und was ist euer Begehr?«


»Krieg!« schrein sie. – »Mit wem?« – »Mit Moskau!« Und immer höher stieg

Der Ruf: »Zum Kampf mit Moskau! Auf, wider Moskau! Krieg!«


Der Preuße schreit fortwährend um's Wort, – es will ihm nicht glücken;

Endlich erbittet er sich's, theils durch höfliches Bücken,

Theils erkämpft' ihm die gellende, dünne Stimme den Sieg.


Er schlägt sich an die Brust und ruft: »Auch ich will Krieg!

Ich trag' zwar nicht den Wedel – doch hab' ich gut gerauft,

Und einmal mit dem Ruder vier Preußen gut getauft,

Die Kerle wollten im Rausch mich in die Pregel tauchen –«

»Brav, Bartek!« rief der Täufer, »nur spritzen! das können wir brauchen!« –

»Aber, lieber Herr Jesus, man muß doch vorher wissen,

Warum Krieg? und mit wem? Man wird's doch sagen müssen!« –

Rief der Preuße, – »wie soll das Volk sonst mit uns zieh'n?

Wohin wird's gehen, wenn wir selbst nicht wissen, wohin?

Wohledle Brüder und Herrn! Nur gesunden Blick!

Verehrte Freunde – Alles braucht doch Plan und Schick!

Ihr wollt den Krieg: nun gut, so laßt uns conföderiren,

Berathet: wo soll's gescheh'n? wer soll uns commandiren? –

So war's in Großpolen! Die Deutschen nehmen Reißaus,

Wir sehen's: gut, was thun wir? berathen uns still zu Haus,

Rüsten darauf die Schlachta und die Bauern aus,

Gerüstet stehen wir da – Dombrowski's Ordre gewärtig;

Zuletzt, halloh zu Pferd! Und der Aufstand ist fertig!«


»Ich bitte um's Wort,« fängt nun ein Deutschgekleideter an,

Der Herr Commissär aus Kleck, ein netter, junger Mann,

Buchmann mit Namen, – doch war er ein Pole, geboren im Land –

Ob er ein Schlachcic war, ist nicht genau bekannt;[161]

Doch fragte man nicht darnach, und Alle sahen ihn gern

Und schätzten ihn: er diente bei einem großen Herrn,

Ein guter Patriot, in allem Wissen versirt,

Hatt' Ökonomie aus Büchern in fremder Zunge studirt.

Verwaltete die Güter ordentlich, mit Geschick, –

Urtheilte recht vernünftig über Politik,

Sprach glatt und fließend, führt' auch eine gute Feder,

Wie er zu sprechen begann, schwieg denn und lauschte Jeder:

»Ich bitte um's Wort,« wiederholt er, räuspert sich sodann

Zweimal, verneigt sich und fängt mit klingender Stimme an:


»Meine Herrn Vorredner haben sehr eloquent

Die Hauptpunkte berührt, und auch das höh're Moment, –

So daß die Debatten bereits auf höherem Standpunkt stehen,

Mir bleibt nur übrig, alle die trefflichen Ideen

Und Schlüsse in einen einz'gen Brennpunkt zusammenfassen:

So, hoff' ich, werden die Meinungen sich versöhnen lassen.

Ich sah, daß die Debatte in zwei Theile zerfiel,

Ich folge der Eintheilung und komme so zum Ziel.

Erster Kernpunkt: warum haben wir loszuschlagen?

In welchem Geiste? Das ist die erste der beiden Fragen.

Die zweite betrifft die Gewalten, die revolutionären; –

Die Eintheilung ist gut, nur wünscht' ich sie umzukehren.

Erst die Gewalten – aus dem Begriffe der Gewalten

Werden wir Geist, Ziel, Wesen der Revolution erhalten.

Betreffs der Gewalt: wenn ich der ganzen Menschheit Geschicke

Vor mir entrolle, was ist's, das ich in ihnen erblicke?

Das Menschengeschlecht, ein wildes, im Wald zerstreutes Heer,

Schaart sich, verbindet, vereint sich zu gegenseitiger Wehr,

Beräth sie – das ist die erste Berathung. Und ein Theil

Der eignen Freiheit opfert dann Jeder zu Aller Heil.

Das ist das erste Gesetz, – und diesem sind entstammt,

Wie einer Quelle, alle Gesetze insgesammt.

Wir sehen, der Quell der Gewalten ist also der Vertrag,

Nicht Gottes Wille, wie man irrthümlich meinen mag.

Wenn wir nun diese aus dem socialen Kontrakt erhalten,

So ist nur logische Folge die Theilung der Gewalten.«[162]

»Kontrakte! Kijewer? Minsker?« rief Mathias, der Alte, –

»Wohl auch Babiner Regierung3? – Herr Buchmann, Jeder halte

Das, wie er will; – wer uns den Czaren aufgeladen,

Ob er nun von Gottes oder von Teufels Gnaden,

Das schenk' ich Euch – sagt Ihr nur, wie ihn abzuladen.«


»Da liegt es!« rief der Täufer, »könnt' ich mit ein paar Sätzen

Zum Thron und plutz! mit dem Wedel einmal den Czaren benetzen,

So käm' er schon nimmer zurück, nicht über den Kijewer Trakt,

Noch über den Minsker, noch nach einem Buchmann- Kontrakt,

Noch wär' ihm mit eines Popen göttlicher Macht genützt,

Noch mit Beelzebubs. – Der ist ein Kerl, der spritzt!

Herr Buchmann, Euer Mund hat Redekunst und Witz,

Doch Redekunst, schum drum! Vor Allem heißt es: Spritz!«


»So! so! so!« piept Scheermesser und reibt sich froh die Hände,

Und rennt, wie die Spule am Webschiff, von einem zum andern Ende,

Vom Täufer zu Matschek hinüber. – »Nur einigt euch zum Heile! –

Du Matschek mit deinem Gertchen, Du Matschek mit deiner Keule, –

Herrgott, wir wollen die Russen kurz und klein tranchiren!

Scheermesserchen will folgen, Gertchen soll commandiren!«


»Commando!« versetzte der Täufer, »das taugt für die Parade!

Bei uns war das Commando in der Kowner Brigade

Kurz und bündig: Erschrick nicht, mach' Andern Schreck und Grauen,

Schlag, aber lass' dich nicht! Stets vor und häufig gehauen,

Schach, mach!« – »So!« piept Scheermesser, »das nenn' ich ein Reglement!

Conföderation? Nun gut! Wozu das Raisonnement?

Wozu denn Akten? was nützten wir Tint' und Feder ab?

Mathias ist unser Marschall, Gertchen sein Marschallstab!«

»Hoch Kirchenhahn!« rief laut der Täufer; jubelnd schrie

Die ganze Schlachta: »Hoch die Wedelcompagnie!« –

Doch brummt man an den Ecken, wird auch die Mitte still,

Man sieht schon, daß sich eine Spaltung bilden will;

»Ich stimme nie für Eintracht! das ist mein System!«

Schrie Buchmann – und ein Zweiter: »Veto! nicht genehm!«
[163]

Aus den Winkeln erwidert's, Der dies und Jener das; –

Zuletzt beginnt der Schlachcic Skoluba, in tiefem Baß:

»Ei, Ei! Ihr Herrn Dobrzynski! Das wäre mir nicht schlecht!

Sind wir denn ausgenommen von Gesetz und Recht?

Als man uns mit einer Einladung bedacht, –

Rembajlo Herrlein, der Schließer, hat sie uns gebracht, –

Da hieß es, es handle sich um Dinge, wichtig und groß,

Für den ganzen Bezirk, nicht für die Dobrzynski's bloß,

Ja, für die ganze Schlachta; auch Robak hat so was gebrummt,

Obwohl er immer gestottert und immer inmitten verstummt,

Und dunkle Worte gesprochen. Nun, schließlich sind wir hier,

Beriefen auch die Nachbarn hieher mittels Courier, –

Ihr Herrn Dobrzynski, vergeßt nicht, ihr seid hier nicht allein,

Aus andern Weilern werden da an zweihundert sein,

So wollen wir Alle berathen. Gilt's, den Marschall zu wählen,

Hat Jeder die gleiche Stimme, da darf Keiner fehlen.

Es lebe die Gleichheit!«


Da riefen sogleich zwei Terajewicz,

Mit ihnen vier Stypulkowski, ferner drei Mickiewicz:

»Es lebe die Gleichheit!« und nahmen hinter Skoluba Stand.

Dazwischen rief Buchmann: »Eintracht führt Unglück an der Hand!«

»Wir machen es,« schrie der Täufer, »ohne Euch selber ab!

Hoch Matschek der Matschek's, unser Marschall! Wohlan, zum Stab!«

Die Dobrzynski's schreien: »Wir bitten, wir invitiren!«

Und die fremde Schlachta tobt laut: »Wir protestiren!«

Man spaltet sich in zwei Haufen, die grimmig schrei'n und streiten,

Sie nicken mit den Köpfen nach zwei verschiedenen Seiten,

Die rufen: »Wir protestiren!« und Jene schrei'n: »Wir bitten!«


Der alte Matschek saß ohne Regung in der Mitten,

Der einzige stumme Mund im allgemeinen Geheule.

Vor ihm der Täufer, mit beiden Händen an der Keule

Festgehängt, – sein Kopf, auf's Ende der Keule gestreckt,

Dreht sich herum, wie ein Kürbis, auf eine Stange gesteckt,

So wackelt' er bald vorwärts, bald wieder zurück und rief

Fortwährend: »Spritzen! spritzen!« Scheermesser aber lief[164]

Beweglich hin und her, die ganze Stube entlang,

Immer zwischen dem Täufer und Mathias' Bank.

Kännchen vermittelt auch; er geht der Quere nach,

Von den Dobrzynski's zur Schlachta, langsam durch's Gemach.

Jener ruft immer: »Barbieren!« Dieser schreit: »Begießen!«

Mathias schweigt, – doch sichtlich fängt's an, ihn zu verdrießen.


Wohl eine Viertelstunde dauerte das Geheule,

Als plötzlich über den Haufen eine blitzende Säule

Mitten aus dem Getümmel der wogenden Köpfe sprang:

Ein zweischneidig Rappier war's, faustbreit und klafterlang,

Sicher aus Nürenberger Stahl ein deutsches Schwert:

Schweigend haben Alle den Blick zur Waffe gekehrt;

Sie wissen nicht, wer sie geschwungen, doch sie errathen und schrei'n:

»Das Federmesser ist's! Hoch Federmesserlein!

Hoch, Kleinod der Rembajlo! Hoch, Ritter kühn und edel!

Hoch, Rembajlo, Halbbock, Herrlein, Schartenschädel!«


Gervasius – denn er war es – drängt sich durch die Reih'n

In's Mittel; rings erblitzt des Federmessers Schein,

Er senkt die Spitze vor Matschek, zu Gruß und Ehrbezeugung,

Und sagt: »Das Federmesser macht Gertchen seine Verbeugung; –

Brüder! Schlachta von Dobrzyn! Ich nehm' nicht Theil am Rath,

Gar nicht – ich sag' nur, weshalb ich euch zu kommen bat.

Was zu thun, wie zu thun, sei euch anheimgestellt.

Es sollen große Dinge vorgeh'n in der Welt:

Ihr wißt, daß das Gerücht schon lange davon spricht –

Pater Robak sagt' es – ihr wißt's ja Alle, nicht?«

»Wir wissen's!« schrie'n sie. – »Gut. Also, ist Einer klug,«

– Hier blickt er sie scharf an – »so ist ihm ein Wort genug.

Nicht wahr?« »Ja!« sagten sie. – »Kommt Bonaparte von hüben,«

Fuhr Gervasius fort, »und Moskau's Czar von drüben,

Dann giebt es Krieg. Der Kaiser packt den Czaren am Kragen,

Ein König rauft mit dem andern, wie eben Monarchen sich schlagen.

Wir aber, sitzen wir still? Ei nun, ich sollte meinen:

Dort würgen sich Große – wir würgen die Kleineren, Jeder den Seinen,

Von oben, von unten: die Großen die Großen, die Kleinen die Kleinen.
[165]

Nur hau'n! so bricht es allem Gesindel das Genick,

Und so erblüht das Glück und auch die Republik!

Nicht wahr?« – »Ja!« riefen sie, »er redet wie ein Buch!«

»Ja,« wiederholt der Täufer, »Spritz! spritz! das ist mein Spruch!«

»Ich,« rief Scheermesser, »bin stets zu barbieren bereit.«

»Nur,« bat Kännchen freundlich, »nur bitt' ich: Einigkeit!

Matschek, Täufer, wer führt uns?« – »Wer wird darnach fragen?«

Fiel Buchmann ein, »Dummköpfe mögen sich vertragen!

In solchen Dingen können Debatten nichts verschlagen.

Ich bitte zu schweigen: wir hören; das kommt der Sache zu Statten,

Der Herr bringt einen neuen Gesichtspunkt in die Debatten.«

»Im Gegentheil, nach mir soll es beim Alten bleiben,«

Versetzt der Schließer, »Große mögen Großes treiben!

Dazu ist der Kaiser da, dazu wird der König sein,

Landboten, Senat – so etwas, Herrlein, macht man allein

In Krakau, in Warschau: nicht bei uns hier in Dobrzyn;

Conföderirungs-Akten schreibt man nicht so hin

Mit Kreide auf sein Flußboot oder in den Kamin;

Die schreibt man auf Pergament; doch – Polen hat Schreiber genug:

Kronschreiber, Lithauer Schreiber; so war's Recht und Fug

Von je her. Ich hab' nur mit dem Federmesser zu schnitzen.«

»Ich,« versetzt der Täufer, »mit dem Wedel zu spritzen.«

»Ich,« rief Bartek, das Ählchen, »zu bohren mit der Ahl'.«

Und zog einen winzigen Degen.


»Ich nehm' uns allzumal

Zu Zeugen,« schloß Rembajlo, »hat nicht Robak gelehrt,

Das Haus zu säubern, ehe der große Gast einkehrt?

Ihr habt es Alle gehört. Und faßt ihr's mit Verstand?

Wer ist der Mist des Bezirkes? Wessen Verrätherhand

Erschlug, bestahl, beraubte den besten aller Polen?

Durch wen wird jetzt dem Erben das Letzte noch gestohlen?

Wer ist es? Muß ich's sagen?« – »Na, ja,« fing Kännchen an,

»Soplica – das ist ein Schuft –« – »O! das ist ein Tyrann,«

Piept Scheermesser – »Drum spritzen!« meint der Wedelmann,

»Ist's ein Verräther,« sagt Buchmann, »dann stimm' ich, daß er hänge!«

»Auf, wider die Soplica's!« braust die ganze Menge.
[166]

Der Preuße wagt, sich für den Richter zu verwenden;

Der Schlachta ruft er zu mit aufgehobnen Händen:

»Wohledle Brüder! ei, bei Christi Wunden, sagt:

Was soll das wieder? Herr Schließer, seid Ihr vom Teufel geplagt?

Gehört das her? Weil Einer einen Verlotterten, Tollen

Zum Bruder hat, wird man ihn darum strafen wollen?

Nun, das nenn' ich christlich! Da stecken Kniffe vom Grafen!

Der Richter bedrückte die Schlachta? Nein, Gott mag mich strafen,

Es ist nicht wahr! – Ihr selbst nur bindet mit ihm an;

Und er sucht Frieden mit Euch; tritt doch der wackre Mann

Das Seine ab und zahlt noch dazu. – Was kümmert Euch

Sein Rechtsstreit mit dem Grafen? Was thut das? Beide sind reich –

Mögen zwei Herrn sich raufen! was das uns Brüder scheert? –

Er ein Tyrann? Der Richter! der Erste, der sich gewehrt,

Daß sich der Bauer vor ihm tief bücke bis zur Erd',

Weil's eine Sünde sei! Hab's selbst bei ihm geseh'n,

Wie oft die Bauersleute mit ihm zu Tische geh'n,

Er zahlt die Steuern für sie: ob das in Kleck passirt,

Obwohl dort Ihr, Herr Buchmann, nach deutschem System regiert?

Er ein Verräther? Ich kenn' ihn von der Infima her –

Er war ein braves Kind und brav blieb er bisher;

Liebt Polen über Alles, wahrt die polnischen Sitten,

Hat die russischen Moden niemals bei sich gelitten.

So oft ich aus Preußen komme und will mich des Deutschthums entladen,

Eil' ich, um mich bei ihm in polnischem Wesen zu baden;

Da athm' ich, trink' ich mich des Vaterlandes voll!

Strafgott! ich bin euer Bruder! aber dem Richter soll

Kein Haar gekrümmt sein – niemals – das lass' ich nicht geschehen!

Habt ihr in Großpolen je dergleichen gesehen?

Der Geist! Die Eintracht! wohl thut's, auch nur daran zu denken!

Wer wagt' es dort, die Berathung auf solche Possen zu lenken!«


»Das sind nicht Possen,« rief Gervasius, »Schufte zu henken!«


Der Lärm wird größer – als sich Jankiel zum Wort erhebt.

Er springt auf die Bank, steht da: hoch über den Köpfen schwebt

Sein Bart, wie ein Strohwisch, und wallt ihm bis zum Gurt herab.[167]

Sacht nimmt er mit der Rechten die Fuchspelzmütze ab,

Schiebt mit der Linken sein Käppchen zurecht, steckt sie sodann

Stramm in den Gurt, und so hebt er die Rede an, –

Verneigt sich dabei mit dem Kolpak tief im Kreis umher:


»Nu, Herrn von Dobrzyn! Ich bin nur ein Jüdelchen, nichts mehr –

Er ist mir nicht Vater, noch Vetter: ich muß die Soplica's verehren,

Als gütige Herrn, als meine Gutsherrn – in gleichen Ehren

Halt' ich die Herrn Dobrzynski's, die Bartek und Matschek, als Männer

Von Ehre, gute Nachbarn und meine werthen Gönner.

Nun mein' ich so: ihr plant Gewalt – da muß ich sagen:

Das ist sehr schlecht. Nun gut, ihr könnt euch schlagen, erschlagen –

Aber die Assessoren? der Sprawnik? das Kriminal?

Denn beim Soplica im Dorf liegt Mannschaft in großer Zahl,

Lauter Jäger! Dazu ist der Assessor im Haus:

Ein Pfiff – und sie rücken gleich, wie auf Bestellung, aus.

Was dann? – Und hofft ihr auf den Franzosen, werthe Herrn,

Ich sag' euch, der Weg ist lang, und die Franzosen fern.

Ich bin ein Jud' – von Kriegen kann ich nichts versteh'n,

Hab' nur in Bielica Juden von der Grenze geseh'n;

Es heißt: die Franzosen steh'n an der Lososna Strand,

Und giebt's auch Krieg, so kommt doch der Frühling erst in's Land.

Nu mein' ich, wartet: drängt's euch, Soplicowo's wegen?

Das steht ja noch bis Frühjahr – das kann man doch nicht zerlegen,

Aufladen und weiterschleppen, wie eine Kämerbude;

Und er, der Richter, ist ja auch kein Schenkenjude:

Er läuft nicht fort, er ist auch noch im Frühling da;

Nun aber geht auseinander, – sagt nicht, was hier geschah,

Denn bei dem Reden ist gar kein Nutzen abzuseh'n.

Und wem's von den Herrn beliebt, bitt' ich, mit mir zu geh'n:

Meine Sarah hat einen kleinen Jankiel geboren,

Alle traktir' ich – und zwar den Gaumen, wie die Ohren:

Große Musik: Baßgeige, Dudelsack, ihr Herrn!

Zwei Fiedeln! – Alten Meth hat Vater Mathias gern

Und neue Mazurka's – ich lasse neue Mazurka's klingen,

Und meine Bachuren lehrt' ich gar fein die Lieder singen!«
[168]

Die Rede des allbeliebten Jankiel traf in's Herz.

Geschrei erhob sich und freudiger Beifall allerwärts,

Zustimmender, wachsender Lärm erscholl selbst außer dem Haus:

Da fällt der Schließer auf Jankiel mit seinem Degen aus.

Der Jude springt in's Getümmel. »Fort, Jude! was schaffst du hier?«

Rief Gervasius, »steck' nicht die Finger zwischen die Thür! –

Herr Preuße! weil Ihr ein paar elende Boote vom Richter

Zum Handeln habt, so wagt Ihr den Hals für das Gelichter!

Und Euer Vater, Herrlein, – erinnert Euch doch nur,

Wie er nach Preußen mit zwanzig Horeszkobooten fuhr!

Daher ist er reich geworden, er und seine Kinder –

Ja, so viel ihr aus Dobrzyn da seid – ihr alle nicht minder!

Ihr Alten gedenkt's, – vernahmt ihr's doch, ihr jüngern Männer,

Wie euch allen der Truchseß ein Vater gewesen, ein Gönner!

Wen schickt' er auf seine Güter in Pinsk als Kommissär?

Einen Dobrzynski! Wer war sein Rechnungsführer? wer?

Ein Dobrzynski! Marschall- und Schenkamt theilt' er aus

Nur an Dobrzynski's! Er hatte lauter Dobrzynski's im Haus!

Er hat eure Processe bei den Gerichten vertreten,

Hat euch das Gnadenbrod beim König ausgebeten,

Zu den Piaristen schockweis eure Kinder geschickt,

Dort Kost und Kleidung für sie bestritten im Convict,

Ja, zahlte den Erwachs'nen die Promotion sogar!

Warum das Alles? weil er euer Nachbar war!

Soplica's Marken stoßen an eure Felder heut' –

Was that er euch je Gutes?«


»Nicht für einen Deut!«

Rief Kännchen, »denn das wuchs ja aus der Misère auf!

Wie er sich bläht, puh, puh, und reckt die Nase hinauf! –

Ich bitt' ihn zu meiner Tochter Hochzeit, füll' ihm den Becher:

Er will nicht trinken, meint: ›Ich bin kein solcher Zecher

Wie ihr Schlachcicen, ihr trinkt freilich wie ein Loch –‹

Seht: der Magnat! das Mundmehlpüpplein! seht mir doch!

Wir goßen's ihm in die Gurgel; ›Gewalt!‹ schrie er wie toll,

Wart' nur, ich gieß dir's noch aus meinem Kännchen voll!«[169]

»Der Gauner,« rief der Täufer, »er kriegt noch seinen Spritz

Für seine Thaten! Mein Sohn war sonst ein Kind von Witz,

Jetzt ist er schrecklich verdummt, Sack nennt man ihn darum4;

Dran ist der Richter schuld, durch ihn ward er so dumm.

Ich sagt' ihm: Bursch, was gehst du immer denselben Trott

Nach Soplicowo? pack' ich Dich dort, so schütz' Dich Gott! –

Er wieder, schwipps, zu Soschja, – im Hanf seh' ich ihn sitzen,

Und gaffen: pack' ihn also beim Ohr, um derb zu spritzen;

Er aber, wie ein Kind heult er und heult unbändig:

›Schlag' mich todt – ich muß doch hin!‹ und schluchzt beständig.

Was hast Du? frag' ich, bis er zuletzt die Antwort giebt:

Er muß nach Soplicowo, weil er die Soschja liebt –

Möcht' sie nur gerne anschau'n! – Mich dauert die arme Haut,

Ich sag' dem Richter: Gieb doch Soschja dem Sack zur Braut.

Er drauf: Sie ist noch klein, wart' noch vielleicht drei Jahr' –

Dann, wie sie will. – Der Lump! ich weiß ja, es ist nicht wahr,

Er will sie verloben, ich schmuggle mich schon zur Hochzeit ein,

Um ihnen mit meinem Wedel das Ehebett einzuweih'n!«


»Und so ein Schurke,« rief der Schließer, »soll regieren?

Altwürdige Herrn, viel Bess're, als er ist, ruiniren?

Und untergeht der Horeszko Gedächtniß, Name und Ehr'?

Wo ist denn Dank auf Erden? In Dobrzyn nimmermehr!

Brüder, zum Krieg mit Moskau habt ihr euch verstiegen –

Und scheut euch wider den Hof von Soplicowo zu kriegen?

Fürchtet den Thurm! Was? Ruf' ich zu Straßenräuberei'n?

Gott bewahre! Brüder! für's Recht nur steh' ich euch ein;

Der Graf hat ja gewonnen, hat ja Dekrete genug –

Nun exequiren! So war's früher Recht und Fug:

Der Richter hat decretirt, die Schlachta ausgeführt,

Zumal die Dobrzyner, – und euer Ruhm in Lithauen rührt

Daher! – Beim Mysker Einritt hielten ja, wie bekannt,

Ganz allein Dobrzyner so kühn den Russen Stand,

Die General Wojnilowicz damals herbeigebracht

Mit seinem Freund, Herrn Wolk, ihm gleich an Niedertracht.

Erinnert euch noch, wir haben damals den Wolk gefangen,

Wir hätten ihn in der Scheune an einen Balken gehangen,[170]

Weil er ein Russenknecht war und ein Bauerntyrann, –

Aber die dummen Bauern nahmen sich seiner an.

An diesem Federmesser brat' ich ihn noch einmal! –

Nicht nenn' ich andre große Einritte ohne Zahl,

Die wir als ächte Schlachta bestanden, die uns Beute,

Beifall und Ruhm gebracht! – Wozu erwähn' ich's heute?

Heut' ist euer Nachbar, der edle Graf, verlassen!

Was hilft's Gerichte zu müh'n, Dekrete abzufassen,

Heut' gibt es Keinen, der der Waise Hilfe gewährt!

Der Erbe jenes Truchseß, der Hunderte ernährt,

Hat heute keinen Freund, nur mich, den Schließer allein

Und dieses hier, mein treues Federmesserlein!«


Und rief der Täufer, »den Wedel! – Mein Schließer, ich geh' mit Dir

Solang ich diese Hand hab': plutz, platz, spritz' ich mit ihr,

Zwei sind doch zwei, straf' Gott: Du hast Dein Schwert, und schau:

Ich meinen Wedel! straf' Gott, ich spritze – und Du hau',

Und so – schach mach, plutz platz! Jene dort mögen schwätzen!«


»Auch Bartek,« rief Scheermesser, »wollt' nicht bei Seite setzen,

Alles, was Ihr nur einseift, will ich sogleich barbieren!«

»Auch ich,« fügt Kännchen hinzu, »will lieber mit Euch marschiren,

Wenn sie auf keinen Marschall sich einigen! – Was sind Worte,

Stimmen, Kugeln! – ich hab' Kugeln anderer Sorte!«

Hier zieht er ein Häuflein Kugeln heraus und klimpert mit ihnen.

»Hier,« schreit er, »mit all' den Kugeln will ich dem Richter dienen!«

»Zu Euch,« rief nun Skoluba, »wir denken so wie Ihr!«

»Wo Ihr seid,« rief die Schlachta, »wo Ihr seid, sind auch wir!

Hoch die Horeszko! Der Halbbock! Schließer Gervasius! –

Auf, wider die Soplica's!« braust Alles auf zum Schluß.


So hat der beredte Schließer Alles mitgerissen,

Weil Alle gegen den Richter was vorzubringen wissen,

Wie's unter Nachbarn geht: ein Aushau, irgend ein Schaden,

Ein Grenzstreit hat ihm manche Feindschaft aufgeladen;[171]

Die Einen treibt der Zorn, die Andern nur der Neid

Auf seinen Reichthum, der Haß bringt Alle zur Einigkeit.

Sie drängen sich um den Schließer, schwingen Keulen und Degen – –


Mathias allein saß düster, ohne sich zu regen; –

Nun steht er auf, um langsam in die Mitte zu schreiten:

Dort bleibt er stehen, stemmt die Arme in die Seiten,

Blickt vor sich hin und beginnt, leise das Haupt bewegend,

Gemessen und mit Nachdruck jedes Wort ausprägend:

»Narren ihr! Narren! Narren! Ihr wollt ein Bad gesegnen:

Narren, das ärgste Bad wird auf euch niederregnen!

Also, wenn von Polens Wiedererstehen die Rede,

Vom Heil des Landes, Narren, da treibt ihr eure Fehde?

Es war nicht möglich, Narren, weder Raths zu pflegen,

Noch Ordnung zu halten, Narren, noch der Führung wegen

Beschluß zu fassen, Narren, – doch mit persönlichem Streit

Komme nur Einer, Narren: wie ihr da einig seid!

Fort! Denn so wahr ich Matschek bin, ich will euch jagen

Zu tausend Millionen Eimern, Fässern, Wagen

Teufel!!!«


Wie blitzgetroffen, schwiegen Alle still, –

Draußen aber erhob sich zugleich ein laut Gebrüll:

»Es lebe der Graf!« Zum Vorwerk ritt er bewaffnet daher,

Zehn Jokey's folgten ihm nach, auch sie in Waff' und Wehr.

Der Graf auf stattlichem Roß, – sein schwarz Gewand umfloß

Ein italienischer Mantel, nußbraun, ärmellos,

Breit, wie ein großer Vorhang, fällt er in mächtigen Falten

Über die Schulter, am Hals von einer Klammer gehalten;

Dazu ein Federhut; – er dreht sein Pferd herum,

Und mit dem bloßen Degen grüßt er die Schaar ringsum.

»Es lebe der Graf, mit ihm in Tod und Leben geh'n!«

So tönt's; die Schlachta begann durch's Fenster hin auszuseh'n,

Dann folgte sie dem Schließer zur Thür in großem Gedränge;

Der Schließer ging hinaus, nachstürzte ihm die Menge,

Den Rest treibt Matschek fort, verriegelt Thür und Haus,

Blickt durch's Fenster, und »Narren!« ruft er nochmals hinaus.
[172]

Indessen hat sich die Schlachta um den Grafen gereiht;

Man geht in die Schenke; der Schließer gedenkt vergangener Zeit:

Drei Gürtel verlangt er; zieht dann aus dem Keller der Schenke

Drei Fässer an ihnen herauf, jedes mit anderm Getränke,

Mit Meth, mit Schnaps, mit Bier; er nimmt die Zapfen heraus:

Aufsprudeln gleich drei Bäche mit schäumendem Gebraus,

Der eine mit silberweißen, der and're mit gelben Wogen,

Der dritte karneolroth: drei glitzernde Regenbogen;

Sie rieseln in hundert Gläser, hundert Becher nieder,

Die Schlachta tobt – die Einen füllen wieder und wie der

Die Becher, die Andern wünschen dem Grafen hundert Jahr:

»Auf, wider die Soplica's!« schreit die ganze Schaar. –

Jankiel ritt fort, ohne Sattel, lautlos. Der Preuße will nach –

Man hatte auch ihn nicht gehört, wie trefflich er noch sprach; –

Fort will er, die Schlachta verfolgt ihn; sie ruft, er habe verrathen.

Fern stand Mickiewicz, ohne zu schreien oder zu rathen;

Doch daß er was Böses vor hat, sieht man aus seinem Blick,

Also, die Säbel gezogen und »Hurrah!« – er weicht zurück,

Wehrt sich, ist schon verwundet, man drängt ihn an die Hecken,

Als Zan, mit ihm drei Czeczot's, herspringen, ihn zu decken.

So wurde die Schlachta getrennt, doch kamen Verwundungen vor:

Zwei kriegten's über die Hand, ein Anderer über's Ohr,

Die Übrigen steigen zu Pferd.


Der Graf und Gervasius

Ordnen, vertheilen Befehle und Waffen; nun, zum Schluß,

Sprengt Alles durch die Gassen des Weilers in langer Reih' –

»Auf, wider die Soplica's!« ist ihr Feldgeschrei.

1

Vgl. – und zur ganzen Erzählung: (d.Ü.)

2

»Robak« bedeutet im Poln. »Wurm«. Ein unübersetzbares Wortspiel, das noch oft in der Dichtung wiederkehrt. (d.Ü.)

3

1568 gründete ein poln. Edelmann, Namens Pszonka, eine satirische Gesellschaft auf seinem Gute Babin bei Lublin, die den Namen »Babiner Republik« führte. Sie geißelte auf ihre Weise die Sitten der Zeitgenossen, schickte Jedem, der sich durch irgend ein Gebrechen oder eine Narrheit auszeichnete, ein Diplom zu, in dem er die »Republik« aufgenommen und mit einem Amte bedacht wurde. So ernannt man z.B. einen Pfuscher zum Arzt, einen Feigling zum Feldherrn, einen Verschwender zum Ökonomen u.s.w. »Kontrakte«, alljährliche Handelsmessen, wie sie in Kijew und Minsk stattfanden. »Trakt«, so viel als: Landstraße. (d.Ü.)

4

»Sack« ein poln. Ausdruck für »Dummkopf«. (d.Ü.)

Quelle:
Mickiewicz, Adam: Herr Thaddäus oder der letzte Einritt in Lithauen. In: Poetische Werke, Leipzig 1882, Band 1, S. 156-173.
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